Ich habe hier eine längere Leseprobe meines neuesten Werks ;) Titel steht noch nicht endgültig fest - ich denke das Buch wird in den nächsten 3-4 Monaten erscheinen. Diese Leseprobe ist eine unkorrigierte Fassung!
Viel Spaß ;)
Ich sehe durch das kleine Fenster des Flugzeuges, wie mein geliebtes London immer kleiner wird. Schließlich verschwindet es unter einer dicken Wolkendecke und ich seufze schwermütig und erleichtet zugleich auf. Jetzt gibt es endgültig kein Zurück mehr, das Abenteuer Nigeria kann beginnen. Gute sechs Stunden Flug liegen vor mir, sechs Stunden, in denen ich über vieles nachdenken kann. Meine Gedanken springen hin und her, dass ich sogar für einige Momente vergesse, wie sehr ich das Fliegen hasse. Das Gefühl, mein Leben dieser Maschine und einem fremden Menschen anzuvertrauen, der sie steuert, macht mir Angst. Nervös blicke ich auf den Bildschirm, der die Höhenmeter und die Flugmeilen anzeigt und atme einmal tief ein und aus.
Ich vermisse meine Familie jetzt schon, es wird eigenartig sein, frühmorgens nicht mit Tess ums Badezimmer streiten zu müssen. Ich fühle einen stechenden Schmerz in der Brust, als ich an das tränennasse Gesicht meiner kleinen Schwester denke. Ihr fällt es besonders schwer, mich gehen zu lassen, da wir sehr viel Zeit miteinander verbringen.
Der Abschied am Flughafen war schrecklich. Jenny und Tess haben geweint und es mir damit noch schwerer gemacht, zu gehen. Auch Dad hat seine Tränen nicht verbergen können und hat mich angesteckt. Das muss ein herzzerreißendes Bild abgegeben haben und der ein- oder andere Passagier hat bestimmt geglaubt, ich wandere für immer aus oder gehe ins Exil.
Ich muss an Marc denken – seine traurigen Augen, als ich ihm noch mal sagte, es hätte keinen Sinn, auf mich zu warten. Ich hoffe nur, er kommt schnell darüber hinweg und findet einen netten Kerl, der es ernst mit ihm meint. Wir werden Freunde bleiben – das weiß ich, weil es mit Marc gar nicht anders sein kann. Wenn es einen Orden für Güte geben würde, wäre er der Erste, dem dieser verliehen wird.
Mit den Flugstunden steigt auch meine Nervosität. Ich freue mich sehr auf das Wiedersehen mit Larry Fisherman und bin gespannt auf das „Chimps Sanctuary Center“ und meine neuen Kollegen.
Dass ich einen sehr gefährlichen Job angenommen habe, ist mir bewusst. Die Organisation hat Feinde – allen voran die Wilderer und diejenigen, die mit dem Buschfleisch Geschäfte machen. Bei den Rettungsaktionen geraten die Mitarbeiter der Schutzstation des Öfteren in Lebensgefahr. Es hat bereits Zwischenfälle gegeben, bei denen Leute verletzt wurden. Ein afrikanischer Ranger kam vor einiger Zeit bei einem Schusswechsel ums Leben. Das alles hat mir Larry offen gesagt und mich von Anfang an auf die Gefahren hingewiesen. Diese Tatsachen habe ich Dad und meinen Schwestern natürlich verschwiegen.
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Als der Kapitän die bevorstehende Landung ankündigt und ich meinen Gurt anlege, steigt meine Nervosität. Meine Hände sind feucht, ich wische sie an meiner Jeans ab und sehe aus dem Fenster. Der Flieger durchbricht die Wolkendecke und es wird etwas holprig. Ich klammere mich automatisch an den Armlehnen meines Sitzes fest, obwohl ich weiß, dass das ganz normal ist. Und dann tut sich die unendlich weite, grün- und sandflächige Landschaft Afrikas vor mir auf, vereinzelt durchzogen von feinen Linien … eindeutig Flüsse und größere Straßen.
Ich atme noch einmal tief durch und wappne mich mental auf das wahrscheinlich größte Abenteuer meines Lebens.
Pünktlich um halb eins Mittag lande ich in Abuja, der Hauptstadt Nigerias. Ich werfe einen Blick auf mein Handy, das bereits die Ortszeit halb zwei anzeigt.
Als ich aus dem Flugzeug steige, hüllt mich das feucht-heiße Klima Afrikas ein, als würde ich in ein Dampfbad fallen. Zusammen mit den anderen Fluggästen geht es in einem viel zu kleinen, überfüllten Bus zum Terminal. Von der einheimischen Familie mit schreienden Kindern, über den weißen Geschäftsmann im Anzug und in farbenfrohen Stoffen bekleideten Männern und Frauen ist alles vertreten. Es ist laut und stickig im Transfer und ich bin froh, als ich nach einigen Minuten wieder aussteigen kann. Ich lasse mich von der Menge bis zur Gepäckausgabe treiben, wo ich auf meinen Rollkoffer warte. In Afrika geht alles etwas langsamer und behäbiger zu, weswegen beinahe eine Dreiviertelstunde vergeht, ehe ich mit meinem Gepäck Richtung Ausgang marschieren kann. Abujas Flughafen hat nur zwei Terminals – einen für Inlands- und einen für Auslandsflüge. Daher ist alles recht überschaubar und es dauert nicht lange, bis ich Larry im Wartebereich entdecke. Zwischen den vielen bunten Kleidern und den überwiegend dunkelhäutigen Menschen ist es nicht schwer, ihn auszumachen. Er ist ein großer Mann mit breiten Schultern, Ende fünfzig. Sein Haar ist schon mehr grau als dunkelbraun, genau wie sein Bart. Am auffälligsten ist seine runde John Lennon – Brille, ohne die ich ihn gar nicht kenne.
Ich bin überrascht und erfreut zugleich, dass er mich persönlich abholt.
„Josh!“ Er winkt mir zu und schüttelt überschwänglich meine Hand, als ich ihn erreicht habe. „Ich wollte eigentlich einen Fahrer schicken, konnte mir aber dann doch die Zeit nehmen, um dich selbst abzuholen“, begrüßt er mich herzlich. „Willkommen in Nigeria – wie war dein Flug?“
„Hallo Larry“, erwidere ich. „Danke, es hat alles wunderbar geklappt.“
Wir durchqueren die Halle und verlassen das Flughafengebäude durch einen der Hauptausgänge.
„Woah … ich wusste, dass es heiß hier ist, aber das übertrifft meine Vorstellungen“, sage ich grinsend, ziehe ein Haargummi aus der Tasche und fasse meine Haare im Nacken zu einem lockeren Knoten zusammen.
Larry lacht. „Ja, wir haben heute bestimmt wieder kuschelige fünfundfünfzig Grad in der Sonne. Und jetzt herrscht natürlich auch noch die größte Mittagshitze. Aber du wirst dich schnell daran gewöhnen, glaub mir.“
Auf dem Parkplatz erkenne ich Larrys Auto sofort, denn der große schwarze Jeep hat seitlich das Logo und die Aufschrift des „Chimps Sanctuary Center“.
Ich lehne mich im Sitz zurück, während Larry den Motor anlässt.
„Es sind gute zwei Stunden Fahrt bis zur Schutzstation“, erklärt er mir. „Aber wir haben ja gottseidank eine Klimaanlage.“ Er grinst. Ich nicke ihm lächelnd zu und lege den Gurt an.
„Das ist gut“, antworte ich erleichtert und sehe mich neugierig um, als wir den Flughafen verlassen und auf eine zweispurige Autobahn fahren. Die Straßen sind staubig und teilweise fehlen die Markierungen, aber ich habe mir das alles noch viel bescheidener vorgestellt. Larry scheint zu ahnen, was mir durch den Kopf geht.
„Die Airport Road führt bis nach Abuja“, sagt er. „Bis zur Hauptstadt brauchen wir eine gute halbe Stunde, dann nochmal eineinhalb Stunden bis zur Schutzstation. Warte mal ab – du wirst aus dem Staunen gar nicht mehr herauskommen, wenn wir gleich durch Abuja fahren.“ Er lächelt geheimnisvoll. „Wer noch nicht hier war, glaubt nicht, wie erstaunlich westlich doch diese Stadt wirkt. Und das Umland hat durchaus sehr schöne Fleckchen – bestimmt hast du mal die Gelegenheit, diese zu sehen.“
„Ich bin sehr gespannt, was mich hier alles erwartet“, erwidere ich. „Es wird völlig anders sein, als das, was ich bisher gemacht habe, aber ich freue mich auf diese neue Herausforderung.“
Larry nickt. „Die Arbeit ist unglaublich erfüllend und wir sind jeden Abend stolz, auf das was wir geschafft haben“, sagt er. „Diese Tiere zu retten und ihnen die Chance auf ein neues Leben zu geben, erfüllt einen mit großer Befriedigung und Stolz. Aber wir haben natürlich auch sehr gefährliche und traurige Momente. Schließlich läuft es nicht immer so, wie wir uns das vorstellen. Für einige Schimpansen kommt jede Hilfe zu spät, oder sie sterben kurz darauf im Schutzreservat an den Folgen ihrer Gefangenschaft. Das Schicksal der Affen ist schrecklich und manchmal kaum zu ertragen, aber jedes einzelne Tier, das gerettet werden kann, gibt Hoffnung und die Kraft, diese wichtige Arbeit weiterzumachen.“ Er sieht mich kurz an und widmet sich dann wieder der Straße. „Ich bin mir ganz sicher, dass du sehr gut in unser Team passt, Josh. Und wir sind sehr froh, dass du da bist. Eins der Teams besteht momentan nur aus zwei Mitarbeitern, dadurch springt einer immer hin und her. Das ist auf Dauer anstrengend und manchmal schwer zu organisieren – vor allem wenn jemand krank ist, oder Urlaub hat. Jetzt können wir uns wieder ganz auf unsere Schützlinge konzentrieren.“
Während der Fahrt staune ich über das ständig wechselnde Landschaftsbild. Wir fahren etwa zehn Minuten lang durch Einöde, an Müllbergen und rostigen Autowracks vorbei, bis wir in das Stadtcenter von Abuja kommen. Die Hauptstadt erscheint optisch in einigen Teilen tatsächlich sehr westlich. Hochhäuser mit glänzenden Fassaden, von Palmen gesäumte Hauptstraßen und weiße Zäune vor größeren Anwesen wechseln sich mit ärmeren Vierteln ab, die im Kontrast dagegen schmutzig und heruntergekommen sind. Ich ahne bereits jetzt, dass dieses Land viel mehr bietet, als sich die meisten vorstellen können. Wir unterhalten uns über allgemeine Dinge und Larry erzählt mir, dass er seit 2004 mit seiner Frau Sulola, einer Nigerianerin, verheiratet ist. Als er zwei Jahre zuvor aus Texas nach Nigeria kam, hat er als reicher Geschäftsmann die Zelte in seiner Heimatstadt Dallas abgebrochen und das „Chimps Sanctuary Center“ aus eigener Tasche finanziert und aufgebaut. Seine Firma, die mit Immobilien und Aktien handelt, leiten mittlerweile seine erwachsenen Söhne aus erster Ehe.
„Ich bin damals mit einem meiner besten Freunde nach Nigeria gekommen“, erklärt Larry. „Mason Steward ist Tierarzt und mit mir der Dienstälteste im Reservat. Du wirst ihn sicher heute noch kennen lernen.“
Wir sind noch nicht lange raus aus der Stadt – und es kommt mir vor, als hätte man einen Schalter umgelegt und uns aus der Zivilisation heraus katapultiert. Anstatt Hochhäusern, Geschäften, sauberen Straßen und Parkanlagen, fahren wir auf staubigen Wegen, die umgeben sind von wilder Natur, Wäldern, Felsen und abgelegenen Dörfern. Zum Teil scheinen die Hütten nur aus Pappe, Holz und Wellblechen zu bestehen.
Ich zucke zusammen, als eine Hupe ertönt. Uns kommt gerade ein Transporter entgegen, auf dem so viele Menschen sitzen, dass ich Angst habe, dass einer von ihnen herunterfällt. Nicht nur auf der Ladefläche, sondern auch auf dem Dach befinden sich Männer und Frauen, die uns begeistert zuwinken. Larry bemerkt mein erstauntes Gesicht und lacht auf.
„Das ist ganz normal. Hier besitzen nur sehr wenige Menschen ein Auto und so werden Fahrgemeinschaften gegründet, die oft aus einem ganzen Dorf bestehen. Sie fahren meist zum nächsten Markt oder zu einem Brunnen, um Wasservorräte zu holen.
„Ich möchte nicht wissen, wie voll der Transporter ist, wenn sie zurück fahren“, antworte ich kopfschüttelnd, worauf Larry wieder lacht.
„Du würdest dich wundern, was da noch alles drauf geht.“ Er fährt in seinem Bericht über die Anfänge des Schutzcenters fort und ich erfahre, dass es Anfeindungen von Einheimischen gab. Nicht nur die Dorfbewohner, die teilweise Angst vor den Menschenaffen haben, standen dem Projekt feindselig gegenüber. Die größte Gefahr ging von denjenigen aus, die Geschäfte mit dem sogenannten Buschfleisch machen. Deswegen ist das rund sechshundert Hektar große Areal, auf dem das Reservat erbaut wurde, mit schweren, hohen Stacheldrahtzäunen abgesperrt und wird rund um die Uhr von bewaffneten Parkrangern bewacht. Es gab aber auch einige, die gekommen waren, um zu helfen – darunter ein Lehrer aus einem der umliegenden Dörfer und seine Schwester Sulola.
„Sulola ist dank des Einflusses ihres Bruders gebildet, kann lesen und schreiben, was hier nicht selbstverständlich ist“, erklärt mir Larry. „Und sie spricht sehr gut englisch. Aus der Gruppe der freiwilligen Helfer stach sie mit ihrer offenen, freundlichen Art hervor und ist mir bereits am ersten Tag aufgefallen“, schwärmt er, während ein verträumtes Lächeln auf seinen Mundwinkeln liegt. „Sie wollte alles über die Schimpansen und unsere Arbeit wissen – aber genauso interessiert war sie daran, wo ich herkomme und was ich dort gemacht habe. Es hat nicht lange gedauert, sich in diese Frau zu verlieben. Ihr Bruder ist noch ihr einziger, lebender Verwandter und so bat ich ihn irgendwann um die Hand seiner Schwester. Er hat sofort zugestimmt, weil er sie versorgt und in guten Händen wusste.“
„Ich freue mich schon darauf, deine Frau kennen zu lernen“, erwidere ich, als wir gerade auf einen holprigen Feldweg abbiegen. Ich kann bereits die von Larry erwähnten Stacheldrahtzäune erkennen, die die Grenzen des Reservats bilden. Schon jetzt kann man sehen, welch riesige Ausmaße es hat. Schließlich kommen wir an ein großes, schweres Eisentor, das geschlossen ist. Ein bewaffneter Ranger kommt sofort aus dem Wachhäuschen, doch als er Larrys Wagen erkennt, winkt er uns zu und öffnet uns das Tor.
„Wir fahren erstmal zum Hauptgebäude und gehen in mein Büro“, erklärt Larry. „Ich stelle dir ein paar Kollegen vor und anschließend zeige ich dir, wo du wohnen wirst.“
Ich nicke. „Das hört sich gut an“, antworte ich zustimmend und blicke aus dem Fenster. „Wow“, sage ich beeindruckt. „Man hat das Gefühl, in eine andere Welt zu gelangen.“
„Ich weiß“, antwortet Larry schmunzelnd. „Das sagt jeder, der das erste Mal herkommt.“
Abuja liegt in der Savanne und nach einer guten Stunde Autofahrt durch trockene Einöde erwartet mich hier eine grüne Oase. Die Wege sind durch liebevoll gepflegte Gärten gesäumt. Tropische Pflanzen mit wunderschönen bunten Blüten, hohe Gräser und schattenspendende Akazien und Orangenbäume geben ein paradiesisches Bild ab.
„Wir haben aber darauf geachtet, Pflanzen zu verwenden, die nicht allzu viel Wasser benötigen“, erzählt Larry. „Schließlich ist Wasser kostbares Gut und wird an anderer Stelle viel dringender benötigt.“
Das Hauptgebäude wirkt schlicht und gepflegt. Der Vorplatz ist kreisrund, in der Mitte wurde eine kleine Insel angelegt, auf der eine Akazie und einige blühende Büsche wachsen. Wir betreten das Haus durch die offen stehenden Flügeltüren aus dunklem Holz und gehen zuerst durch eine lichtdurchflutete Halle. Larry trägt meine kleine Reisetasche und ich ziehe den Rollkoffer hinter mir her. Ich blicke nach oben und betrachte das runde Kuppelfenster, zwischen den Treppen im zweiten Stock. Genau darunter befindet sich ein steinernes Becken, dem ich mich neugierig nähere.
„Goldfische …“, murmle ich mehr zu mir selbst.
„Ja, eine meiner großen Leidenschaften“, antwortet Larry, in seiner Stimme schwingt Stolz mit. „In meinem Anwesen in Dallas hatte ich einen riesigen Teich mit verschiedenen Fischarten. Wobei mir die Goldfische besonders lieb sind – vor allem die Schleiergoldfische. Wenn ich gestresst bin, setzte ich mich ein paar Minuten hin und beobachte sie. Das verleiht mir Ruhe und neue Kraft.“
„Das kann ich mir gut vorstellen“, antworte ich nickend und folge Larry durch einen breiten Korridor.
„Die Büroräume befinden sich hier im Erdgeschoß“, erklärt er mir. „Genau wie die Kantine, Konferenz- und Aufenthaltsräume. Im Hauptgebäude ist eigentlich fast alles untergebracht. Einzig die Appartements der Mitarbeiter befinden sich woanders – und natürlich die Schimpansenstation. Aber alles zu seiner Zeit.“ Larry bleibt vor einer Tür stehen, klopft kurz und legt die Hand auf die Klinke. „Dein Gepäck kannst du in meinem Büro lassen, während ich dir alles zeige.“
Als wir Larrys Büro betreten, erhebt sich eine dunkelhäutige Frau von einem der beiden Schreibtische im Raum. Als erstes fallen mir ihre warmherzigen, glänzenden Augen auf. Sie trägt ein bunt bedrucktes, afrikanisches Kleid, mit einem passenden Kopftuch, das sie kunstvoll, ähnlich wie einen Turban geschlungen trägt. Ihr gepflegtes Äußeres, wie Ohrringe, Makeup und eine außergewöhnlich ebenmäßige Haut, lässt sie mich vom Alter her schwer einschätzen, aber sie ist mindestens zehn bis fünfzehn Jahre jünger als Larry.
„Schatz, das ist Josh Edwards aus London.“ Larry schließt die Tür und stellt meine Tasche ab. Meinen Rollkoffer stelle ich daneben.
„Josh, freut mich, dich kennen zu lernen“, begrüßt mich Larrys Frau in beinahe akzentfreiem Englisch, während sie mir eine perfekt manikürte Hand hinhält. „Ich bin Sulola. Hattest du einen guten Flug?“
Ich drücke behutsam ihre Hand und nicke.
„Hallo, Sulola“, erwidere ich. „Ja, vielen Dank – es hat alles wunderbar geklappt.“
„Das freut mich.“ Ihr Lächeln lässt ihre weißen Zähne aufblitzen. „Du bist Zoologe, nicht wahr? Larry hat mir schon einiges über dich erzählt.“
„Ach ja?“, antworte ich neugierig und wechsle kurz einen Blick mit Larry, der grinsend zustimmt.
„Natürlich nur Gutes“, sagt er augenzwinkernd. „Wir bewundern deine Öffentlichkeitsarbeit in der Tierschutzorganisation … die Menschen über Tierquälerei jeglicher Art aufzuklären, ist eine enorm wichtige Sache. Außerdem habe ich meiner Frau erzählt, wie du bereits als kleiner Junge einen Schimpansen großgezogen hast.“
Ich lache peinlich berührt. „Na ja, den größten Anteil daran hatte mein Vater. Ich habe nur assistiert.“
„Was bewundernswert ist, in so jungen Jahren“, erwidert Sulola anerkennend, während sie zu ihrem Schreibtisch zurückkehrt, sich über die Tastatur neigt und kurz etwas eintippt. „Entschuldigt, ich muss rasch etwas abspeichern. Das Ding hat die Angewohnheit immer dann abzustürzen, wenn ich meine Daten nicht gesichert habe.“
„Mach du ruhig weiter, Liebling.“ Larry geht kurz zu seiner Frau und küsst sie liebevoll auf die Wange. „Ich möchte Josh ohnehin kurz herumführen und ihm das Wichtigste zeigen. Wir kommen dann wieder, um das Gepäck zu holen.“
Sulola nickt und setzt sich.
„Okay, dann wir sehen uns nachher.“
„Ja, bis dann.“
„Im Moment ist nur Team Eins anwesend – und davon lediglich zwei Leute“, erklärt mir Larry, während wir den Korridor zurückgehen. „Mason ist mit Team Zwei in den Wäldern unterwegs. Wilderer sollen dort ihr Unwesen treiben. Ich hoffe, die Kollegen kehren bald wohlbehalten zurück.“ Wir gehen am Goldfischbecken vorbei zum Lift, der sich genau gegenüber vom Eingang befindet. Erst jetzt fallen mir die Hinweisschilder an den Wänden auf, die aufzeigen, was sich wo befindet. Larry deutet mit dem Kinn nach links. „Hier im linken Flügel befindet sich die Kantine und die Küche, aber da dürfte jetzt niemand mehr da sein. Hast du Hunger? Dann besorgen wir rasch etwas für dich.“
Ich schüttle den Kopf. „Nein, danke. Ich habe im Flugzeug etwas bekommen.“
Wir fahren mit dem Lift in den ersten Stock, wo wir uns in den linken Flügel begeben und dem Schild mit der Aufschrift Teams/Tiermedizinische Versorgung folgen.
Larry klopft kurz an eine Tür und ich betrete nach ihm einen Raum, in dem zwei Schreibtische stehen, ein Tisch mit vier Stühlen und eine kleine Küchenzeile mit einer Mikrowelle und einer Kaffeemaschine. An einem der Schreibtische sitzt ein Mann in etwa meinem Alter, der jetzt aufsieht und sich sofort erhebt.
„Larry“, begrüßt er unseren Boss mit einer winkenden Handbewegung, bevor er mir freundlich zunickt. Ich finde ihn auf Anhieb sympathisch.
„Hey Walt“, erwidert Larry. „Das ist Josh Edwards, der neue Kollege für Team Zwei. Er ist gerade angekommen und ich dachte, wir schauen kurz vorbei.“
Walt und ich reichen uns die Hand.
„Freut mich Josh“, begrüßt er mich breit lächelnd. „Gut, dass du da bist. Das bedeutet nämlich, dass mein Team wieder komplett ist.“
„Hallo Walt“, erwidere ich. „Ja, ich hab schon gehört, dass ihr momentan etwas im Stress seid.“
„Das kann man wohl sagen“, bestätigt Walt nickend, worauf ihm ein paar seiner schwarzen, dicken Dreadlocks ins Gesicht fallen, die er etwa schulterlang trägt. Seine Haut besitzt die Farbe von Milchkaffee. „Deswegen bin ich gerade alleine hier. Unser Team-Tierarzt Mason ist unterwegs auf Mission und Suzie, eine andere Kollegin, ist mit ein paar Rangern und Helfern draußen bei den Schimpansen. Wir bereiten gerade den Umzug zweier Jungtiere in eines der Außenanlagen vor.“
„Suzie ist Verhaltensbiologin“, fügt Larry hinzu. „Du kannst sie gleich kennen lernen, wenn du magst. Wir könnten mit einem Caddy zu den Außengehegen fahren.“
Ich bin begeistert von Larrys Vorschlag und plötzlich so aufgeregt, dass mein Herz schneller schlägt. Ich werde gleich die Gelegenheit haben, ersten Kontakt mit den Schimpansen aufzunehmen.
„Sehr gerne“, antworte ich erfreut.
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„Also, hier im ersten Stock befinden sich Räume der Teams, die tiermedizinische Versorgungsstation und ein Operationsraum“, unterrichtet mich Larry weiter, als wir in den Lift steigen und wieder nach unten fahren. „Und im zweiten Stock ist die humanmedizinische Station. Ich würde sagen, das kann dir morgen einer deiner Kollegen zeigen. Erstens ist meine Zeit leider begrenzt, zweitens wäre das zu viel für heute.“
Wir verlassen das Hauptgebäude und steuern auf eines von drei Elektro-Caddys zu, die vor dem Eingang parken.
„Wir benutzen die Caddys ganz gerne, weil das Reservat wirklich groß ist und du dir hier so manches Mal die Füße platt latschst“, erklärt mir Larry grinsend. „Nach den Außengehegen zeige ich dir dann erstmal, wo du wohnen wirst.“ Er macht eine ausschweifende Handbewegung in die Ferne. „Dort drüben befinden sich die Bungalows sämtlicher ausländischer Mitarbeiter, wir haben dir bereits einen bezugsfertig gemacht. Die einheimischen Helfer verlassen die Schutzstation abends so zwischen neun und elf Uhr – je nachdem wie sie mit ihrer Arbeit fertig werden. Es sind dann nur noch die Ranger da, die Nachtwache haben. Ich würde sagen, nachdem ich dir die Außenanlagen für die Schimpansen gezeigt habe, holen wir dein Gepäck und ich bringe dich zu deinem Appartement. Du solltest erstmal in Ruhe ankommen, morgen geht’s dann richtig los. Was hältst du davon?“
Da ich ziemlich müde bin, nicke ich dankbar.
„Das hört sich wirklich gut an, danke Larry.“
Wir wollen gerade in das Caddy steigen, als ein dunkler Jeep mit großer Ladefläche sprichwörtlich mit einem Affentempo angerauscht kommt und mit quietschenden Reifen und jeder Menge Sandstaub zum Stehen kommt. Drei Männer springen von der Ladefläche – einer von ihnen ist ein bewaffneter, einheimischer Ranger. Zugleich steigt eine Frau aus, die am Steuer gesessen hat. Einer der Männer trägt ein kleines Bündel in den Armen, eingewickelt in ein Stück Stoff – rot getränkt mit Blut. Der Oberkörper des Mannes ist nackt, und ich kann erkennen, dass er ein Gorillababy in sein Hemd gewickelt hat.
Der andere Mann ist unheimlich blass, es ist offensichtlich, dass es ihm nicht gut geht. Sein rechter Arm ist notdürftig mit einem Stofffetzen verbunden, durch den Blut durchgesickert ist.
„Mason, lass dich von Valentina verarzten!“, ruft ihm der Mann mit dem Gorillababy im Arm gehetzt zu, während er sich suchend umsieht. Sein Blick bleibt für den Bruchteil einer Sekunde an mir hängen, dann entdeckt er Larry.
„Larry! Ich brauche jemanden, der mir assistiert!“, brüllt er ihm gehetzt zu. „Mason fällt aus, er muss sofort in die Krankenstation. Das Kleine muss in den OP!“ Verzweifelt fällt sein Blick wieder auf mich. „Hey, hast du schon mal bei einer OP assistiert?“
Ich wechsle einen Blick mit Larry und mir ist klar, dass mein neuer Job doch sofort beginnt.
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